Eine Erinnerungsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
In Erinnerung an

Dr. med
Adolf Guttentag
1868 - 1942

Dr. med. Adolf Guttentag 1938. Quelle USHMM
Dr. med. Adolf Guttentag 1938. Quelle USHMM

Mitglied seit 1926

Promotion in Breslau

Umzug nach Berlin 1941

in Berlin 1942

in den Selbstmord getrieben 16.10.1942

Dissertationschrift Titelblatt. Archiv CH
Dissertationschrift Titelblatt. Archiv CH
Adolf und Helene Guttentag. Weihnachten 1938 im Balkonzimmer der Wohnung in Stettin Kaiser Wilhelm Strasse 9. Quelle USMM
Adolf und Helene Guttentag. Weihnachten 1938 im Balkonzimmer der Wohnung in Stettin Kaiser Wilhelm Strasse 9. Quelle USMM
Ausschnitt Tagebuch 27.8.1942
Ausschnitt Tagebuch 27.8.1942
Ausschnitt Tagebuch 16.10.1942
Ausschnitt Tagebuch 16.10.1942
Zählkarte für Sterbefall. Kultusvereinigung Berlin. Quelle Arolsen Archives
Zählkarte für Sterbefall. Kultusvereinigung Berlin. Quelle Arolsen Archives

Dr. med Adolf Guttentag

  • 0‌4‌.‌1‌2‌.‌1‌8‌6‌8‌, Breslau /Wroclaw
  • 2‌9‌.‌1‌0‌.‌1‌9‌4‌2‌, Berlin
  • Mitglied seit 1926
  • Stettin
  • Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten

„Ich, Adolf Guttentag, bin geboren am 4.12.1868 zu Breslau als Sohn des Kaufmanns Georg Guttentag und dessen verstorbener Ehefrau Ottilie, geborene Eckersdorff. Ich besuchte die Wanckel’sche Knabenvorschule und das Gymnasium zu St. Maria Magdalena zu Breslau, das ich zu Michaeli 1887 mit dem Zeugnis der Reife verliess. Von Michaeli 1887 bis Michaeli 1889 studierte ich in Breslau Medicin, von Michaeli 1889 bis Ostern 1890 in München, wo ich das Tentamen physicum absolvirte. Von 1890 bis Ostern 1892 studierte ich in Breslau und Heidelberg. In Heidelberg beendete ich am 17. Juli 1892 die ärztliche Hauptprüfung“, so Guttentag in seiner Dissertationsschrift. Die Familie Guttentag bekannte sich zur jüdischen Glaubensgemeinschaft.

Im Dezember 1893 wurde Adolf Guttentag an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig mit der Arbeit Ueber das Verhalten der elastischen Fasern in Hautnarben und bei Destructionsprozessen der Haut promoviert. Die Arbeit hatte er im Labor der Abteilung für Dermatologie des Allerheiligen Hospitals Breslau unter dem Primararzt Josef Jadassohn in der Dermatologischen Klinik von Albert Neisser angefertigt.

Adolf Guttentag als Junger Mann (Zeitpunkt nicht bekannt), aufgenommen Im Photogr. Atelier Geier In Breslau. Quelle USMM
Adolf Guttentag als Junger Mann (Zeitpunkt nicht bekannt), aufgenommen Im Photogr. Atelier Geier In Breslau. Quelle USMM
Dissertationschrift Titelblatt. Archiv CH
Dissertationschrift Titelblatt. Archiv CH

Ausbildung und Wirkungsstätte

Nach Studium, Militärpflicht und einem sechswöchigen freiwilligen Dienst begann Guttentag seine internistische Ausbildung in der Abteilung für Innere Medizin des Allerheiligen Hospitals Breslau, vermutlich bei dem Nachfolger Ottomar Rosenbachs. Rosenbach beendete seine Tätigkeit im Allerheiligen Hospital 1893.

Guttentags weitere Ausbildungsstationen sowie seine Spezialisierung sind bisher nicht dokumentiert. Ab 1896 ist er im Adressbuch Stettins als praktischer Arzt verzeichnet, ab 1901 mit der Bezeichnung Spezialarzt für Magen-Darmkrankheiten. In den Folgejahren wechselt er seinen Praxisstandort mehrfach innerhalb Stettins. Zuletzt praktiziert und wohnt er in der Kaiser-Wilhelm-Strasse 9.

Am 5. 2.1898 heiratet er in Posen, heute Poznan/Polen, Helene Pauly, Schwester der Ehefrau Prof. Ernst Neissers, des ärztlichen Leiters der Medizinischen Klinik am Städtischen Krankenhaus Stettin, mit dem er verbunden bleibt bis zu Neissers letzten Lebenstagen, wie Guttentag  in seinem Tagebuch schildert.

Helene Guttentag, geb. Pauly (um 1891), Aufgenommen vom Hofphotograph Engelmann In Posen. Quelle USMM
Helene Guttentag, geb. Pauly (um 1891), Aufgenommen vom Hofphotograph Engelmann In Posen. Quelle USMM
Adolf und Helene Guttentag. Weihnachten 1938 im Balkonzimmer der Wohnung in Stettin Kaiser Wilhelm Strasse 9. Quelle USMM
Adolf und Helene Guttentag. Weihnachten 1938 im Balkonzimmer der Wohnung in Stettin Kaiser Wilhelm Strasse 9. Quelle USMM

Nach 1933

Guttentag und seine Ehefrau Helene waren seit dem April 1933 den antisemitischen Attacken durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Am 24.1. 1934 wird ihm die Kassenzulassung entzogen, am 30.9.1938 die Approbation. Das Ehepaar verließ Stettin und lebte zunächst in Hirschberg, Jelenia Gora/ Polen. Danach wechselten sie nach Berlin.

Reichsmedizinalkalender 1937 Adolf u. Ernst Guttentag
Reichsmedizinalkalender 1937 Adolf u. Ernst Guttentag

Adolf Guttentag hat in einem Tagebuch für seinen Sohn Otto bewegend die Zeit der Verfolgung, ihre erbärmlichen Lebensbedingungen in einer kleinen Berliner Wohnung 1941 / 42 in der Carmerstr. 5 und die Entscheidung zum Selbstmord beschrieben (Tagebuch Adolf Guttentag, United States Holocaust Memorial Museum, USHMM, Guttentag family papers, 2001.42, RG – 10.216 ).

Ausschnitt Tagebuch 27.8.1942
Ausschnitt Tagebuch 27.8.1942
Ausschnitt Tagebuch 6.9.1942
Ausschnitt Tagebuch 6.9.1942
Ausschnitt Tagebuch 19.9.1942
Ausschnitt Tagebuch 19.9.1942

Am 12. Oktober 1942 wurde das Ehepaar Guttentag von der GESTAPO aufgesucht, musste die Kennkarten abgeben und wurden in die Zentrale der Staatspolizei in die Burgstrasse bestellt. Seither war ihnen die bevorstehende Deportation in das Ghetto Theresienstadt bewusst. Vier Tage später, am 16. Oktober 1942 begingen Adolf und Helene Guttentag mit einer Überdosis Schlaftabletten Selbstmord. Nach Einnahme der Tabletten schrieb Adolf Guttentag – kaum lesbar – als letzten Eintrag in sein Tagebuch: „Der Arzt Dr. A. Guttentag ist gestorben. Er hatte ein gutes und glückliches Leben“.

Ausschnitt Tagebuch 12.10.1942 1
Ausschnitt Tagebuch 12.10.1942 1
Ausschnitt Tagebuch 12.10.1942 2
Ausschnitt Tagebuch 12.10.1942 2
Ausschnitt Tagebuch 16.10.1942
Ausschnitt Tagebuch 16.10.1942

Guttentag wurde lebend aufgefunden und in die Klinik transportiert. Er starb am 29. Oktober 1942 73- jährig an den Folgen der Intoxikation im Jüdischen Krankenhaus Berlin. Er wurde zusammen mit seiner Frau auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf bei Berlin beigesetzt.

Zählkarte für Sterbefall. Kultusvereinigung Berlin. Quelle Arolsen Archives
Zählkarte für Sterbefall. Kultusvereinigung Berlin. Quelle Arolsen Archives

Der Sohn Otto Guttentag hatte Medizin studiert und war seit 1927 Assistenzarzt in der Medizinischen Universitätsklinik Frankfurt bei Franz Volhard. Otto Guttentag erhielt von den Frankfurter Behörden zum 31. Mai 1933 eine fristlose Kündigung, da er nach der NS-Terminologie als „nicht arisch“ galt. Er verließ Deutschland noch im gleichen Jahr und fand in den USA / San Francisco einen neuen Tätigkeitsbereich.

Eigene Publikationen (Auswahl)

  1. Guttentag A. Ueber das Verhalten der elastischen Fasern in Hautnarben und bei Destructions- processen der Haut. Archiv für Dermatologie und Syphilis, 27 (1894),1 vom 1. Dez., Seite 175-190
Danksagung

Richard Brook, USA, gebührt großer Dank für seine Recherchen zur Familie Adolf und Helene Guttentag und für die großzügige Bereitschaft, auf seine Quellenarbeit zurückgreifen zu dürfen. Agnes und Nicki Stieda, Kanada, der Enkelin und Urenkelin Ernst Neissers, sei für wichtige Auskünfte zur Verbindung der Familien Neisser und Guttentag besonders gedankt.

Beitrag:
Dr. med. Cornelie Haag, Dresden
Dr. med. Harro Jenss, Worpswede

 

Quellen:

Guttentag A. Ueber das Verhalten der elastischen Fasern in Hautnarben und bei Destructionsprozessen der Haut. Medizinische Dissertation. Staatsbibliothek Berlin, SBB PK, Sign. Ja 10852-2, S. 21 ff ( Lebenslauf )

United States Holocaust Memorial Museum, USHMM, Guttentag family papers, 2001.42, RG – 10.216

Bundesarchiv, Reichsarztregister, BArch R9347/50020432

Literatur

Fischer A. Erzwungener Freitod. Spuren und Zeugnisse in den Freitod getriebener Juden der Jahre 1938 – 1945 in Berlin. Hg. Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum. Berlin: Textbuchverlag 2007

Weblinks

Arolsen Archives [Karteikarte der Jüdischen Kultusvereinigung über den Freitod Adolf Guttentags]

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/12656679 (26.1.2024)

POST 50: DR. ADOLF GUTTENTAG’S 1942 DIARY – bruckfamilyblog.com (27.1.2024)

Adolph Jonas Adolf Guttentag MD Pauly – Ereignisse (ancestry.de) (31.1.2024)

United States Holocaust Memorial Museum ( USHMM ) Collections: https://perspectives.ushmm.org/item/diary-of-adolf-guttentag und https://collections.ushmm.org/search/catalog/irn502548?rsc=22004&cv=0&x=705&y=954&z=1.3e-4